OECD-Zahlen zur Entwicklungszusammenarbeit: Bundesregierung erreicht internationale Zielmarke nur durch Rechentrick
Geplante Kürzungen 2025 werden zu Einbruch der deutschen Entwicklungshilfe führen, auch Klima-Zusagen sind in Gefahr
Berlin, 11. April 2024. Laut den heute von der OECD veröffentlichten Zahlen zur weltweiten Entwicklungszusammenarbeit sinkt die deutsche Entwicklungshilfe-Quote 2023 auf nur noch 0,79 Prozent des Bruttonationaleinkommens (von 0,83 Prozent im Jahr 2022; Gesamtleistungen 2023: 33,63 Milliarden US-Dollar). Die international vereinbarte Zielmarke von 0,7 Prozent erreicht die Bundesregierung dabei nur noch durch Anrechnung der anfallenden Ausgaben für nach Deutschland geflüchtete Menschen. Diese Ausgaben machen fast ein Fünftel der gesamten Mittel aus, damit ist Deutschland der größte Einzelempfänger seiner eigenen Hilfsleistungen.
In den kommenden Jahren ist angesichts des geplanten Kahlschlags im Etat des Entwicklungsministeriums massiver Rückgang der deutschen Unterstützung für einkommensschwache Länder zu erwarten.
Tobias Hauschild, Leiter des Bereichs Soziale Gerechtigkeit bei Oxfam Deutschland, kommentiert: „Die heute veröffentlichten Zahlen sind schlicht verheerend. Mit den bereits beschlossenen bzw. geplanten massiven Kürzungen bei den deutschen Entwicklungsleistungen in diesem und den kommenden Jahren wird Deutschland seine internationalen Verpflichtungen und die Versprechen des Koalitionsvertrages brechen. Die für die anvisierte feministische Entwicklungspolitik notwendigen Ressourcen werden nicht zur Verfügung stehen. Die Bundesregierung lässt damit die Menschen in einkommensschwachen Ländern im Stich. Diese kämpfen mit den Folgen von Krieg, Inflation und Klimakrise. Sie brauchen jetzt unsere Unterstützung und Solidarität. Wir erwarten ein klares Machtwort von Bundeskanzler Scholz weitere Kürzungen zu verhindern und Deutschlands weltweiter Verantwortung gerecht zu werden!"
Die geplanten Kürzungen werden nach Einschätzung von Oxfam auch dazu führen, dass die Bundesregierung ihre Zusage, die Unterstützung für Klimaschutz und Anpassung an die Klimakatastrophe in einkommensschwachen Ländern bis 2025 auf jährlich mindestens sechs Milliarden Euro anzuheben, nicht halten können wird. Hauschild: „Wenn die Bundesregierung hier Wort bricht, und danach sieht es derzeit aus, dürfte das die mühsam errichtete Vertrauensbasis zwischen den reichen Industrieländern und den einkommensschwachen Ländern unter dem Pariser Klimaabkommen gehörig beschädigen. Das muss unbedingt verhindert werden!"
Statt bei der Unterstützung einkommensschwacher Länder zu kürzen, fordert Oxfam die Bundesregierung auf Milliardär*innen und Multimillionär*innen stärker zu besteuern und in die gesellschaftliche Verantwortung nehmen. Laut einer Oxfam-Modellrechnung könnten durch eine Vermögenssteuer für Superreiche und Hochvermögende 85,2 Milliarden Euro in Deutschland pro Jahr generiert werden.
BMZ: Deutschland hat 2023 das UN-Finanzierungsziel für Entwicklungszusammenarbeit erreicht
Deutschland
hat nach vorläufigen Berechnungen der OECD im Jahr 2023 insgesamt 0,79
Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Unterstützung ärmerer Länder
bereitgestellt.
Damit erreicht die Bundesrepublik nach 2016, 2020, 2021 und 2022 zum
fünften Mal das vereinbarte Ziel der Vereinten Nationen, mindestens 0,7
Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit
bereitzustellen. Von den insgesamt rund 33,9 Milliarden
Euro entfiel ein Anteil von 12,7 Milliarden Euro auf das Engagement des
Entwicklungsministeriums. Die endgültigen Zahlen für 2023 wird die OECD
voraussichtlich Ende des Jahres veröffentlichen.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze:
„0,79 Prozent sind viel Geld, aber auch eine kluge Investition in die Zukunft
für ein Land, das 50 Prozent seiner Wirtschaftsleistung mit dem Export verdient.
Unser Wohlstand ist auf Weltoffenheit aufgebaut. Darum ist es nicht nur
ethisch geboten,
sondern auch in unserem Interesse, in die internationale Zusammenarbeit
zu investieren. Die Welt steht vor riesigen Herausforderungen: vom
weltweiten Klimaschutz über die Unterstützung der Ukraine bis zu den
Hilfen für die Länder, die die meisten Flüchtlinge
aufnehmen. Die schwierige Weltlage erfordert derzeit mehr, nicht
weniger internationale Zusammenarbeit. Jetzt entschlossen zu handeln,
zahlt sich später aus.“
Knapp
20 Prozent der deutschen Entwicklungsleistungen entfallen auf Kosten
für die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland.
Diese zählen gemäß der international
vereinbarten Berechnungsmethoden im ersten Jahr nach Ankunft zu den
Entwicklungsleistungen. Im Jahr 2023 fallen hier noch die großen Zahlen
der aus der Ukraine geflüchteten Menschen ins Gewicht. Insgesamt sind
die Kosten für die Versorgung und Unterbringung
von Flüchtlingen in Deutschland 2023 um rund 2 Milliarden Euro auf rund
6,6 Milliarden Euro gestiegen. Sie sind damit der wesentliche Faktor
hinter den gestiegenen Entwicklungsleistungen. Ohne Berücksichtigung
dieser Kosten läge die deutsche ODA-Quote bei
0,64 Prozent.
Deutschland
liegt mit seinen Entwicklungs-Investitionen gemessen an seiner
Wirtschaftskraft hinter Norwegen (1,09 Prozent), Luxemburg (0,99
Prozent) und Schweden (0,91 Prozent)
auf Platz vier. In absoluten Zahlen sind die USA der größte Geber. Als
global vernetzte Volkswirtschaft ist Deutschland noch stärker als andere
darauf angewiesen, belastbare Zugänge und vertrauensvolle
Partnerschaften zu pflegen sowie globale Krisen friedlich
und auf dem Wege der Zusammenarbeit zu lösen.
Zwar
sind die Entwicklungsleistungen (Official Development Assistance/ODA)
2023 in absoluten Zahlen von 33,89 auf 33,92 Milliarden Euro leicht
gestiegen. Die sogenannte ODA-Quote
im Verhältnis zum deutlicher gestiegenen Bruttonationaleinkommen ist
jedoch von 0,85 auf 0,79 Prozent gesunken.
Von
den insgesamt rund 33,9 Milliarden Euro ODA kamen rund 37 Prozent aus
dem Haushalt des Bundesentwicklungsministeriums, das die Mittel weltweit
in Zusammenarbeit gegen Armut,
Hunger oder Klimawandel investiert. Auch aus den Etats des Auswärtigen
Amtes (13 Prozent), des Bundeswirtschaftsministeriums (2 Prozent) und
anderer Ministerien (insgesamt 9 Prozent) kommen relevante Anteile an
der deutschen ODA. Der deutsche Anteil an den
Entwicklungsleistungen der Europäischen Union macht 10 Prozent an der
deutschen ODA aus. Zu den deutschen ODA-Leistungen zählen zudem Kosten
der Bundesländer für die Bereitstellung von Studienplätzen für
Studierende aus Entwicklungsländern in Höhe von 1,8
Milliarden Euro (5 Prozent).
Mehr Informationen unter www.oecd.org/dac